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Inhalte, Layout und Bilder auf dieser und allen andere Seiten der Website Eigentum von U. Hofmockel, 2011

Wieviel "S" braucht die Frau?

 

  Das neue Jahrhundert brachte eine Neuerung bei der Korsettform mit sich. Erst das "straight front"-Korsett und in dessen Folge die "S"-Linie.

Die typisch gründerzeitliche Sanduhrsilhouette wurde abgelöst durch eine gerade Front und eine Verlängerung über die Hüften hinaus. Die S-Linie hebt zudem die Brust nicht mehr so weit, wie noch vor 1900 modisch.

Als besonderes Schmankerl soll das S-Linie-Korsett die Frau in eine S-förmige Silhouette drücken, also Brust raus und Po ebenfalls. Manche Fotografie und insbesondere die Modekupfer wollen einen also glauben lassen, daß die modisch gekleidete Dame quasi stets fast vornüber gefallen ist.

Der geneigte Betrachter fragt sich nun zurecht, ob die Damenwelt seinerzeit durchgängig wie eine Ente mit Hüftschaden lief, um dem modischen Bild der vorgewölbten Brust und dem starken Hohlkreuz zu entsprechen. Selbstverständlich dazu gezwungen durch ein massives Korsett (ist das vielleicht das wahrhaft Interessante daran?).
 

 
 

 

 

 

Die Linienführung der Stäbe bei einem S-Linienkorsett ist anders als beim klassischen Gründerzeitkorsett.

Während bei diesem alle Stäbe senkrecht verlaufen und darauf ausgelegt sind, sowohl die Brust möglichst weit oben zu halten als auch eine Taillenreduzierung zu erreichen, werden die Stäbe des S-Linien-Korsetts bogig über die Hüfte geführt  In der Theorie soll dies dafür sorgen, daß das Becken nach hinten geschoben wird.

Versuch macht bekanntlich klug und getragen erweist sich das S-Linien-Korsett als bequem im Vergleich zum Sanduhrkorsett. Es gibt eine leichte Neigung zum Hohlkreuz, die aber weit von den Modekupfern entfernt ist.
 

Wie kommt frau nun trotzdem zur gewünschten Figur?

Wie immer mit allerlei Hilfsmitteln. Pokissen formen den Entenpo und Brusteinsätze die Gänsebrust. Gerade bei letzteren gab es viel Kreativität, um die Optik des "Monobusens" zu erreichen. Angefangen von Untertaillen mit Rüschenbesatz bis hin zu "Brusttournüren" zum Umschnallen.

Ein ganz wesentlicher Aspekt ist natürlich der Schnitt der Bekleidung.

Die gängige Bluse liegt nicht mehr straff am Oberkörper an wie jahrzehntelang die Taille, sondern besteht aus einem engen, stabverstärken Futter und einem locker drapierten Oberstoff, der gerne weit über den Rockbund gewölbt wird. Fertig ist die Gänsebrust.

Wie ausgeprägt die Wölbung gearbeitet ist, hängt vom Geschmack der Trägerin und wohl auch von der Kleiderart ab. Praktische Alltagskleidung kann aber muß nicht sehr modisch sein. Die Dame im Foto unten links trägt ihre Gänsebrust lediglich in der vorderen Mitte der Bluse ohne viel Weite im Stoff, bei der Dame rechts unten findet man eindeutig mehr Gans als Brust.

An die Grundzüge der Silhouette halten sich  jedoch alle, nämlich den an der Hüfte eng anliegenden Rock mit weiter auslaufendem Saum und einer Bluse mit Frontakzent.

 

 

Ein weiterer Trick, um zumindest bildhaft das Ideal anzustreben, ist eine andere Art zu fotografieren.

Während die Gründerzeitdame stets relativ statisch an Tischen, Stühlen oder ähnlichem arrangiert wird, die Hände meist gerade an der Seite, auf der Stuhllehne oder einen Gegenstand festhaltend...

  ... darf sich die Dame der Jahrhundertwende lockerer in Position bringen.

Die auf den Rücken gelegte Hand ist ein sehr populäres Motiv und täuscht optisch ein Hohlkreuz vor.

 

  Geradezu verwegen ist schon das Arrangement mit Vorhang und vorgestrecktem Bein. Auch hier verhelfen Arm- und Beinhaltung zum optischen Hohlkreuz.

 

ca. 1880

 

ca. 1903

 

ca. 1905

 

 

 

Tatsächlich dürften die meisten Damen wenig "S" in der Linie gehabt haben. Schon deswegen, weil dann das Gehen - noch besser: Treppensteigen - mit dem modischen Sinnbild für Leichtigkeit, Feinheit und florales Fließen kaum vereinbar ist.

Wieviel Leidensfähigkeit für Mode in einer Dame steckt, ist schon immer individuell verschieden. Fotos zeigen jedoch, daß der Durchschnitt eine Neigung zum Praktischen hat. Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel und wenn eine Frau Zeit und Gelegenheit hatte, das Hohlkreuz zu pflegen, dann wird sie es bei genug Ergebenheit gegenüber der Mode auch getan haben. Ein Massenphänomen war es hingegen wohl nicht.

Jahrhundertwende
1890-1905

 

 


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